Auch mir schlagen die Nachrichten auf mein Gemüt. Hilflos sitzt man vor den Fernsehern, um sich Schreckensbilder aus Japan, Libyen oder Berlin anzusehen. Hat man da eigentlich noch Lust auf den kommenden Sommer. Hat man da eigentlich noch Lust auf die Zukunft.
Was ist Zukunft?
Für den Science Fiction Autor ist Zukunft alles, was jenseits unserer heutigen Technik und jenseits des Planeten Erde liegt. Der Politiker versteht darunter meist nur die Zeit nach kommenden Wahlen. Die Bausparkassen verkaufen uns eine Zukunft als Zuhause in den eigenen vier Wänden. Für den Germanisten gibt es die Zukunft in zwei sprachliche Zeiten. Für den Philosophen ist Zukunft alles, was im unmessbaren Augenblick der Gegenwart in Vergangenheit umgewandelt wird.
Überall wird zurzeit über die Zukunft diskutiert. Meist im Zusammenhang mit unserer Energieversorgung, manchmal auch mit Blick auf die Regierungsformen in der islamischen Welt.
Zukunft wirkt so abstrakt, so ungewiss. Früher bin ich mit großer Angst vor der Zukunft durch die Welt gegangen, mit der Angst, es könne angesichts der Atomaren Höchstrüstung keine Zukunft mehr geben oder allenfalls im nuklearen Holocaust. Aber ich kann heute aus dem Fenster schauen, ohne Angst, dass über der Stadt ein Atompilz emporsteigt.
Doch trotzdem bleibt die Zukunft fremd. Wie läuft Zeit ab? Wie entsteht aus den Handlungen der Gegenwart Zukunft?
Wenn ich mich umschaue, so ist die Zukunft eher eine Verheißung des Konsums. Alles wird noch größer, noch schneller, noch vernetzter, noch technischer. Wir werden in der Zukunft sogar 4D-Fernseher haben, Elektroautos, jederzeitigen Zugang zum Internet, bessere Medikamente….
Doch irgendwie sind dies doch nur quantitative Steigerungen unseres jetzigen Daseins, geboren im begrenzten Horizont unserer Wahrnehmungen der Gegenwart.
Aber: Wird unsere Zukunft durch mehr Konsum eigentlich auch schöner, besser, lebenswerter?
Von meiner Generation – ich bin ein 68iger – sagte man einst, wir wären die No-Future-Generation. Und wenn ich mich umsehe, habe ich das Gefühl, diese No-Future-Generation ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen und sie hat die Macht übernommen.
Wir verheizen die Ressourcen dieses Planeten, als würde es tatsächlich No-Future geben. Wir kaufen den letzten Wegwerf-Schrott bei Nanu-Nana, um geschmackloses Zeug in unsere Wohnung zu stellen, und wir nennen das dann „ Dekoration“. Wir wechseln regelmäßig unsere Garderobe, weil der Farbton der Mode Saison für Saison nur um eine Nuance von der des Vorjahres abweicht. Wir kaufen uns jedes Jahr ein neues Handy, nur um noch mehr Musik darauf speichern zu können. Wir empfinden die weitere Degeneration unserer Nahrung, jener Stoffe, die über die Verdauung Bestandteil unseres Körpers werden, als Fortschritt – es lebe die Maggi-Tüte. Wir halten unsere Mitgeschöpfe, wie Kühe, Schweine, Hühner, in Produktionsfabriken, töten sie, massakrieren sie, um anschließend ihr Fleisch – überladen mit Angsthormonen – aufzuessen. Wir bauen neue Wohnsiedlungen draußen auf dem Land, von wo aus wir nur noch mit dem Auto zur Arbeit und zum Einkaufen zu kommen, nur damit wir den von Autos verstopften Städten entkommen. Wir nutzen großformatige PKWs, mit denen wir durch die Afrikanische Wüste fahren könnten, obwohl unsere Landschaft mit Asphalt zugepflastert ist. Wir fliegen mit dem Jet in ferne Länder, um uns dort in Landschaften zu erholen, die noch nicht für Autos zerstört wurden. Wir verbrauchen Strom, um unsere Wäsche in einer Maschine anstatt an der frischen Luft zu trocknen. Wir erzeugen Atommüll, der länger strahlen wird als unsere Sonne bisher gestrahlt hat.
Und: Wir setzen weiter Kinder in die Welt. Aber leider viel zu wenig deutsche, die unsere Rente später bezahlen, dafür viel zu viele schwarze, die nur noch zu essen bekommen, was unsere Kühe und Schweine übrig lasse.
Die Erkenntnis wächst, dass all diese Entwicklungen unseren Planeten ins Verderben führen. Es werden inzwischen Versuche unternommen, etwas zu verändern. Doch auch diese führen oft ins Verderben, wie man beim Pseudo-Biosprit E10 sieht: Damit wir hier weiter schön mit dem SUV-Auto fahren können, werden woanders überlebenswichtige Regenwälder für neue Ethanol-Anbauflächen abgeholzt.
Vor allem: Es sind Konzepte, um dem jetzigen Fehlverhalten einen ökologischen Anstrich zu geben: Wir verbrauchen diesen Planeten und können dabei ein gutes Gewissen haben. Über allem steht: Konsum, Konsum, Konsum. „Wohlstand für alle“ bedeutet heutzutage eigentlich „Wohlstand für jeden, für jeden einzelnen, koste es was es wolle“. Wir haben uns angewöhnt, dass die Bequemlichkeit des Einzelnen höher wiegt als das Wohl der Gemeinschaft – Egoismus als Leitkultur. Wir haben gelernt, die Welt nur noch in Geldwert zu bemessen, anstatt danach, ob etwas Wert ist, ob es Gut ist.
Diese Konzepte sind tatsächlich jene einer No-Future-Generation!
Neben diesen globalen oder philosophischen Betrachtungen gibt es aber auch die Menschen, die Personen, das Du und das Ich. Was ist eigentlich mein Konzept für meine persönliche Zukunft? Mache ich mir dazu Gedanken, die jenseits der Angst liegen? Habe ich Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Habe ich gar konkrete Bilder im Kopf, Visionen vom Häuschen, vom Haustier, von meinem Ruhestand? Oder doch nur vom nächsten Weihnachtsgeld, von dem die verchromten Radkappen meines Superschlittens bezahlt werden?
Doch ich erkenne auch im Kleinen die destruktive Lebensweise wie im Großen wieder. Überall haben sich Verhaltensweisen eingefahren, die nicht auf Zukunft ausgerichtet sind.
Und wir Schwule sind dabei nicht etwa bessere Menschen. Beispiele gefällig? Wie viele Schwule kenne ich, die rauchen? Warum raucht man überhaupt, wenn doch das Bewusstsein weiß, dass es schädlich für den Körper ist, dass man dadurch früher sterben kann? Vielleicht weil es einem egal ist? Vielleicht weil wir keine Zukunft haben („No Future“), die uns lebenswert erscheint. Vielleicht hat das Vögeln ohne Gummi ja eine ähnliche Qualität. Wir Schwule haben ja noch nicht einmal Kinder, für die wir eine schöne Welt, einen gesunden Planeten bewahren wollen könnten.
Und so liegt der graue Dunst einer hoffnungslosen Lethargie über uns, und sie macht uns alle krank.
Was wollen wir von der Zukunft? Was will ich von der Zukunft? Und welche Zukunft meine ich? Bin ich bereit, Verantwortung für die Zukunft jenseits meines eigenen Lebens zu übernehmen? Bin ich nicht Teil dieser Welt, und „teile“ ich somit nicht auch die Zukunft dieser Welt? Ist die „Teilhabe“ an dieser Welt eigentlich eine Einbahnstraße.
Ich glaube, Zukunft ist kein Schicksal. Ich muss mich der Zukunft nicht hingeben, ich bin nicht deren Opfer. Zukunft fließt dahin, fließt vielleicht wie ein Fluss. Aber Flüsse kann man kanalisieren, auf einen Weg bringen, der gefälliger ist. Doch dazu brauche ich eine Idee, eine Idee von der Zukunft, meinetwegen eine Vision.
Und meinetwegen bin ich nun ein Spinner, der sich den Realitäten nicht stellt. Aber die Realität, die derzeitige Realität, seien wir doch mal ehrlich, ist, global betrachtet, reichlich elend und hoffnungslos. Wenn wir diese Welt nicht ändern und alles dahin weiterlaufen lassen, worauf es derzeit hinauszulaufen scheint, dann haben wir tatsächlich „No Future“.
Wir müssen dieser „No-Future-Generation“ die Macht entreißen.
Ich bin so bekloppt, an die Verheißung einer besseren Welt zu glauben. Ich bin auf dieser Welt, um Zukunft zu gestalten. Meine eigene und die dieser Welt. Gründen wir doch einfach eine Generation „Best Future“. Fangen wir doch endlich mal an, mit der aktiven Gestaltung unserer Zukunft – einer besseren Zukunft.