Der Papst in uns…

Wir sind Papst?

War da was? Die Gefühle nach dem „Habemus Papam“ im Jahre 2005 waren durchaus zwiespältig, als der ehemalige Josef Kardinal Ratzinger auf den Balkon des Petersdomes trat, um sich mit ausgebreiteten Armen als Nachfolger von Johannes Paul II bejubeln zu lassen.

Ein Deutscher Papst? Ein Mensch, der in seinem ersten Leben als Erneuerer der Kirche galt, später aber als Chef-Inquisitor für die Formulierung der reaktionären Dogmen der Kirche mitverantwortlich war?

Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Zeit also für den ersten Staatsbesuch des amtierenden Papstes Benedikt XVI in seinem Geburtsland. Welche Aufregung hat es doch darum gegeben, um die Kosten der Visite, um die erwarteten Programmpunkte und Botschaften und nicht zuletzt um die Rede vor dem Deutschen Bundestag.

Einige Wochen später fragt man sich, was davon geblieben ist.

Der Papst war sichtlich erschüttert durch den impertinenten Protest von Abgeordneten, wie z.B. Michael Kauch von der FDP, der dem Papst mit einer provozierenden Regenbogen-Krawatte gegenübersaß, um gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in der katholischen Kirche zu demonstrieren. Ob darüber der Abbruch der diplomatischen Beziehungen erwogen wird, ist bisher nicht bekannt.

Die Deutsche Bischofskonferenz sitzt nun zusammen, um die Aussagen des so genannten Stellvertreter Gottes auf Erden zu interpretieren.

Die Evangelische Kirche verdrückt sich in die Schmollecke, weil der Papst statt Ökumene die Nachfolger von Martin Luther weiterhin als Spalter-Kirche betrachtet.

Und die Moslems in Deutschland kichern sich schlapp, weil ein alter Mann im Brokat-Fummel mit Ihnen über Gott sprechen wollte, sie sich aber mit einer Tunte auf dieses Thema eigentlich gar nicht einlassen wollen.

Viele Erwartungen an diesen Papstbesuch in Deutschland wurden enttäuscht. So vieles wurde erhofft. Doch in fast allen Punkten kam aus den gespitzten päpstlichen Lippen nur der gequirlte Mist, mit dem eigentlich zu rechnen war.

Sollten wir nun enttäuscht sein?

Warum das denn? Warum sollte ein 84jähriger, als konservativer, alter, geschlechtsloser Mann, bekannt als Verachter der Menschenrechte von Schwulen, Lesben und Frauen, auf einmal wie geläutert zu einer neuen Meinung kommen?

Ich will auch gar nicht schon wieder auf die Haltung der katholischen Kirche zu unserer Art zu leben und zu lieben eingehen, dazu muss man eigentlich keine Worte verlieren.

Ich frage mich viel mehr, warum wir als mehr oder weniger intelligente Menschen so viel Wert darauf zu legen scheinen, was diese einzelne Person mir erzählen will. Warum sollte ich auf den Papst hören?

Schon alleine der Anspruch, der Stellvertreter Gottes zu sein, ist doch überaus grotesk. Ich frage mich, wo ist die Vollmacht. Das steht weder in der Bibel, und selbst wenn das so dort stehen würde, würde ich mich fragen, welche Rechtsgültigkeit diese hat, wurde die Bibel doch im Wesentlichen von Kirchenfürsten zusammengestellt.

Aber ich möchte eine grundsätzlichere Frage stellen: Warum brauchen wir überhaupt Priester? Warum hören wir auf Männer – und bei uns sind es meistens Männer -, die uns erläutern, was Gott meint? Woher haben diese Männer ihre Interpretationshoheit eigentlich erhalten?

Meine Antwort: Von uns selbst! Wir selber geben diesen anmaßenden Herren Macht über uns. Indem sie uns mit dem Gefühl von Schuld beladen und wir bei Ihnen um Ablass betteln müssen, um Seelenheil zu erfahren.

Gewiss, auch ich brauche einen inneren Kompass, ich brauche meine Orientierung. Nennen wir es Religion, Spiritualität, Kharma oder was auch immer: Ich brauche im Inneren verankerte Werte, um mit meinen Mitmenschen zusammenleben zu können, um mit Ihnen eine Gesellschaft auszubilden, in der man sich nicht gegenseitig umbringt.

Naja, Katholizismus, Judentum und auch Islam scheinen das gegenseitige Umbringen ja nicht gerade zu verhindern, da muss wohl etwas am Konzept dieser Religionen falsch sein!

Um Werte auszubilden, muss ich nicht auf machtbesessene Meister der Manipulation hören, auf Hochwürden, Eminenzen oder gar Heiligkeiten. Vielmehr spreche ich mit anderen „Menschen“. Ich erfahre meine Werte durch Vorbilder und ich spüre sie durch die Liebe der mich umgebenden Freunde.

Der Papst liebt mich nicht – da mag er beteuern was er will, ich messe ihn an seinen Taten, und er ist ganz gewiss nicht mein Vorbild. Genauso wenig wie der YouTube-Prediger, der mir im Internet erklären will, der mich schaffende Allah würde mich als Schwulen hassen. Genauso wenig wie der Rabbi, der in seine über 2000 Jahre alten Papiere gucken muss, um daraus zu deuten, wie man heutzutage Männerliebe zu beurteilen habe.

Ich brauche keinen Papst in Deutschland, ich brauche ihn nicht im Bundestag, ich brauche ihn nicht im Deutschen Fernsehen, beim Wort zum Sonntag.

Ich brauche auch nicht seine Vertreter, diese verkleideten, unlegitimierten, geschlechtslosen Pfaffen, Rabbis, Priester, Muftis, Lamas, die immer nur zurück in eine Vergangenheit wollen, in der sie noch mehr Macht über die Menschen erlangen.

Was ich brauche ist eine Religion zum Mitmachen, ich brauche einen moralischen Kompass, der in die Zukunft weist, in eine bessere Zukunft. Ich brauche eine Spiritualität, die sich an meinen Sehnsüchten orientiert, Sehnsucht nach liebenswürdigeren Menschen, Sehnsucht nach einer lebenswürdigeren Welt.