Es ist September 2013 und in wenigen Wochen ist Bundestagswahl. Wie, noch nicht gemerkt? Tja, woher auch.
Abgesehen davon, dass amtierende Regierung und amtierende Opposition zurzeit mal wieder den Geldregen vom Himmel, die Rettung der Welt und den Frieden auf Erden versprechen – natürlich unter Integration der Begriffe „Frau, Umwelt und Karneval“ – kriegt man doch gar nichts mit. Vom, na wie heißt das noch? Ach ja, Wahlkampf.
Sogar die größten Skandale, vom Euro-Hawk über NSA-Aushorch-Affaire bis hin zur doch noch drohenden Pleite einiger Südeuropäischer Euro-Länder werden totgeschwiegen, wenn schon nicht von allen Medien, so doch von der Kanzlerin. Die neue Ische von irgendso‘nem C-Promi ist da wichtiger als jeder politische Diskurs.
Und auf die Kanzlerin kommt es doch an, nicht wahr? Wer möchte schon diesen sympathischen jung-dynamischen Kanzler-Kandidaten der SPD? Begnügen wir uns stattdessen doch lieber mit dem Bewährten, dem Langweiligen, dem Einschläfernden – nur keine Experimente, damit hat die Union doch schon immer gewonnen – in Deutschland.
Doch streifen wir einmal kurz das hochsommerliche Delirium ab, befreien wir uns von den Einwirkungen dieser Valium-geschwängerten sogenannten Politik einer Bundesregierung, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen müsste, und schauen wir uns einmal die Inhalte an… nur für den Fall, dass es irgendjemanden interessiert… woran ich angesichts der Wahlprognosen nicht mehr glaube.
Schauen wir uns doch mal die Ergebnisse der Wahlprüfsteine vom LSVD – vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland an.
Für den schnellen Leser hat es der LSVD sehr übersichtlich in einer Tabelle dargestellt, welche Antworten die befragten Parteien auf Fragen zu schwul-lesbisch-transgender-transidenten und so weiter Themen gegeben haben. Die Smiley-Gesichter signalisieren auf den ersten Blick: Zustimmung – Ablehnung – vage Antwort oder keine Antwort. Der Fragenkatalog geht von den Klassikern wie Eheöffnung und Adoption für Schwule und Lesben, über die Behandlung von Homosexualität in der Schule, so kryptische Überschriften wie „LSBTI-Rechte/UN“ bis hin zur Rehabilitation für Opfer des §175 StGB. Insgesamt gibt es 20 Kategorien, die alle natürlich durch differenzierte Fragen unterlegt sind, wie zum Beispiel die Frage nach der Ergänzung des Gleichheitsgrundsatzes im Grundgesetz:
Sind Sie bereit, sich für eine Ergänzung des Gleichheitsartikels unserer Verfassung um das Kriterium der „sexuellen Identität“ einzusetzen?
Diese und eben weitere Fragen wurden an die Parteivorstände der sechs etablierten, demokratischen Parteien geschickt.
Volker Beck von den Grünen hat ganze Arbeit geleistet. Alle zwanzig Fragen wurden mit Ja beantwortet, die Grünen sind also voll auf unserer Seite. Ist der Einfluss von Volker Beck, Gründungsmitglied des LSVD, bei den Grünen so groß, dass die Antworten alle so positiv für uns ausgefallen sind? Oder ist der Einfluss des Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen, im LSVD so groß, dass die Fragen so vorteilhaft gestellt wurden? Wir lassen dies mal offen.
Auf dem zweiten Platz landen die Linken. Nur eine „vage“ Antwort, neben sonst ausschließlich zustimmenden Positionen, wurde zu dem Punkt: „Inklusionskonzept für Außen- und Entwicklungspolitik“ abgegeben. Hab ich auch nicht verstanden, was damit gemeint ist, die Linke vielleicht auch nicht.
Auch die Piratenpartei war bei schwul-lesbischen Themen fleißig. Obwohl noch jung hat sich diese Partei doch bei immerhin 18 uns betreffenden Fragen positiv geäußert – lediglich zwei Antworten blieben vage, und zwar bei der Ablehnung von „Umpolungsversuchen“ und bei den „LSBTI-Rechten/UN“. Hm. Immerhin. Das wird doch auch noch zu schaffen sein, immerhin eine Partei, die sich aus Mitmachern zusammensetzt. Also: Mitmachen!
Die älteste Deutsche Partei, die Sozialdemokratie, hat sich bei den schwul-lesbischen Themen modernisiert. Vorbei die Zeit, da Kurt Beck aus dem beschaulichen Rheinland-Pfalz Widerstand im Bundesrat gegen die Gleichberechtigung geleistet hat, der dicke Gabriel und natürlich unsere Hannelore (Kraft) haben gute Arbeit geleistet – vergessen wir nicht, dass unsere SPD-Landesmutter im letzten Jahr noch die Kompassnadel erhalten hat. Gut, mir fällt es immer noch schwer, die Ruhrgebiets-SPD mit progressiven Forderungen in Verbindung zu setzen, fordert man hier doch weiterhin z.B. die Klima-schädliche Kohleverstromung, aber immerhin gibt es bei keiner schwul-lesbischen Position ein „Nein“, nur fünf von 20 Antworten blieben vage oder ganz offen.
Überrascht haben mich die vier roten Smileys bei der FDP, die Ablehnung signalisieren, weitere sechs Antworten blieben vage oder offen. Erstaunlich für diese selbsternannte Bürgerrechtspartei, deren Außenminister und ehemaliger Vorsitzender Westerwelle offen schwul ist – na, sagen wir besser „homosexuell“ -, deren Dortmunder Abgeordneter Kauch auch zu unserer Fraktion gehört und deren Justizministerin Schnarre immer wieder die Gleichberechtigung gefordert hat. Die FDP lehnt die Ergänzung des Grundgesetzes ebenso ab wie eine Verbesserung des Gleichbehandlungsgesetzes und die Rehabilitation von Opfern des §175 StGB. Am Ende dann also doch nicht so smart, wie sich die FDP unter Rösler so gerne geben möchten, am Ende doch gefangen in den Klauen der Union – wie übrigens die letzten vier Jahre dieser Regierungsperiode.
Muss man zur Union eigentlich nochwas sagen? Auch unter der angeblich so modernisierten Frau Bundeskanzlerin Merkel halten CDU und CSU das verstaubte, rückwärts gewandte Fähnchen des Biederen hoch. Konkret verlangt die Union, weiterhin zwischen der gleichgeschlechtlichen Ehe und der homosexuellen Lebenspartnerschaft differenzieren zu dürfen. Auf der einen Seite verweist die Union dabei auf den Artikel 6 des Grundgesetzes, der die Ehe und Familie schützt, auf der anderen Seite behauptet sie, der Gleichbehandlungsgrundsatz im Artikel 3 würde ausreichen, um vor staatlicher Diskriminierung zu schützen.
Das ist fein beobachtet: Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach der unionsgeführten Koalition deutlich gemacht, dass sie mit ihrer Politik gegen diesen Artikel 3 GG verstoßen hat. Der Dank, dass die Union mit ihrer Apartheids-Politik nicht weiterkommen, geht hauptsächlich an die Richter in Karlsruhe.
Im übrigen ist bemerkenswert, dass die Union bis heute eine Vorschrift des Grundgesetzes vorschiebt, welches vor inzwischen über 64 Jahren, also vor einem vollständig anderen gesellschaftlichen Hintergrund erlassen wurde – übrigens von Menschen und nicht vom Himmel gefallen, während diese gleiche Partei vor nunmehr zwanzig Jahren keine Hemmungen hatte, auf rassistische Weise gegen Asylbewerber zu hetzen und daraufhin das Asylrecht des Grundgesetzes abzuschaffen. Das ist verlogen und durch und durch moralisch verwerflich.
Aber kommen wir abschließend nochmal zur Mutti, zur Bundeskanzlerin Merkel. Merkel ist Frau, Merkel kommt aus dem Osten, Merkel ist Naturwissenschaftlerin. Eigentlich Eigenschaften von denen man annimmt, sie würde sich für eine pragmatische, freiheitliche, emanzipierte Bürgerrechtspolitik einsetzen. Aber nein: Merkel hat mehrfach evangelikalen Gruppen hofiert. Merkel spricht vor Homo-Heilern, und damit macht sie sich gemein mit den Menschen, die von uns sagen, wir wären krank, und unsere Krankheit müsse man heilen.
Merkel darf man als Schwuler oder als Lesbe oder als Transidente nicht wählen. Auf Queer.de gibt es viele Beispiele, wie sich Merkel gegen die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben eingesetzt hat.
Aber leider wird Deutschland so doof sein, es wieder zu tun.
Tja, wen aber dann. Wen soll ich mit meinem rosa Kreuzchen im September beschenken?
Wer noch Inspiration benötigt und sich die kompletten Wahlprüfsteine des LSVD, die konkreten Fragen und die Antworten der Parteispitzen tatsächlich ansehen möchte, der findet alle Informationen auf der Seite des LSVD unter „www.lsvd.de. Dort gibt auch die Grafik mit den vielen Smileys, die man sich auch ausdrucken kann, um sie mit in die Wahlkabine zu nehmen, für die Last-Minute-Entscheidung.
Das ist nur so meine Idee, um die Bundestagswahl am 22.09. wenigstens ein bisschen spannend zu machen.