Vielleicht mach‘ ich in diesem Jahr mal Ente à l’Orange.
Lass uns am Heiligabend zu meinen Eltern fahren
Melanie schenke ich in diesem Jahr einen Buchgutschein
Und dazu gibt es echte Hühnesuppe mit Eierstich
Und am ersten Feiertag fahren wir zu Deinen Eltern
Wobei ein Gutschein ja sowas von unpersönlich ist. Vielleicht doch eher die neue CD von Robbie Williams.
Andererseits: Nur die Suppe von Onkel Fritz schmeckt ja wirklich gut.
Und am zweiten Feiertag machen wir es uns gemütlich
Aber vielleicht hat sie die ja schon längst. Und wie wäre es mit Shakira
Ich seh mich schon wieder den ganzen Abend in der Küche stehen.
Deine Schwägerin wird sich bestimmt wieder mit Deiner Mutter streiten
Jau, und wo soll ich das jetzt noch herbekommen? Ich stell mich doch nicht bei Saturn in die meterlange Schlange. Und Amazon geht heutzutage ja auch gar nicht.
Und dann schmeckts Onkel Harry bestimmt nicht. Dabei sollte der doch sowieso auf seinen Cholesterinspiegel achten.
Klar, aber bei Deiner Bagage ist immer eitel Sonnenschein. Wenn ich schon an die blöden Blagen Deines Bruders denke…
Vielleicht steck ich doch eher 50 € in einen Umschlag mit ’ner Karte.
Kommt Dir das alles bekannt vor? Dieses ganze Weihnachtsbrimborium. Die Dominasteine ab September, schon im Oktober wird der große Weihnachtsbaum auf dem Hansaplatz aufgebaut, ab Mitte November ist kein Durchkommen mehr in der Stadt, wer im September noch keinen Tisch für das Weihnachtsessen der Abteilung gebucht hat, sollte davon am Besten gleich Abstand davon nehmen.
Spätestens im Dezember drehen die Leute dann absolut durch: Man hangelt sich von Weihnachtsfeier zu Weihnachtsfeier – seiner Abteilung – seines Chores – seines Kegelvereines – seiner Sportgruppe – seiner Psychotherapiegruppe – und dann noch die lieben Freunde, die einen auch noch zum Jahresende sehen wollen und sich selber einladen.
Jetzt sei doch mal besinnlich.
Auf der Arbeit geht die Vorfreude in den Jahresabschlussarbeiten unter, in den Geschäften dudeln einen abwechselnd der Grazer Knabenchor und die Thomaner klassische Weihnachtslieder, von „Last Chrismas“ wollen wir gar nicht erst sprechen, Funk und Fernsehen geben sich widersprechende Tipps für die besten Weihnachtsrezepte und -geschenke, und sogar der schwul-lesbische Chor sind katholische Weihnachtslieder, bei denen die jungfräuliche Maria das Fleisch Gottes ganz tief innen drinnen empfangen hat…
Jetzt sei doch mal besinnlich.
Hat man dann die Zeit bis zur Heiligen Nacht ohne weitere Aggressions- und Panikattacke geschafft, trifft man sich am Ground Zero der übertriebenen Erwartungen, an Geschenken, an Familienfrieden, an Gemütlichkeit, an leckerem Essen.
Wobei dieses spätestens beim zweiten Hauptgang – nach der Hühnersuppe mit Fettaugen so groß wieder der Phoenix-See, die aber natürlich nicht so gut schmeckt, wie die von Onkel Fritz – nur noch mit Kraft hineingewürgt werden kann, so dass man auf einmal Mitgefühl mit der Elsässer Gänsestopfleber empfinden kann, und man hofft, dass der Kräuterlikör Marke Bachmann den Entleerungsreflex des Magenpförtners zu unterdrücken vermag.
Jetzt sei doch mal besinnlich.
Hat man dann alles geschafft, ist das Einpackpapier entsorgt, sind die schlimmsten Geschenke dann umgetauscht und sind die Christbaumkugeln wieder eingepackt, gönnt man sich dann eine wirklich total schöne Silvesterparty in überheizten Räumen, mit viel zu lauter Musik, viel zu vielen Menschen, mit einem obligatorischem Buffet und mindestens einer Flasche Sekt pro Person, sprengt dann zu Mitternacht noch ein paar Löcher in die Ozonschicht, wenn man sich einen Katjuscha-Feuerwerk-Wettbewerb mit den Nachbarn liefert und hinterlässt einen unsortierten Müllberg direkt auf der Straße, nach mir die Sintflut.
Und dan noch die jährlich wiederkehrende „Komik“ mit diesen komischen Vorsätzen, bei denen schon von Beginn an die Argumente genannt werden könnten – und werden – warum man sich nicht daran halten konnte.
Jetzt sei doch gefälligst mal besinnlich.
Im Januar – wenn die Kur-Kliniken für Erschöpfungssyndrome eigentlich überlaufen müssten – hört man dann die Freunde, die man zu diesem Jahreswechsel nicht treffen konnte, wie sie denn ankündigen, im nächsten Jahr alles anders machen zu wollen, von der blöden Familie hätte man ja diesmal endgültig die Nase voll.
Und man selber stimmt ja ein, nimmt sich vor, die nächste Weihnacht mit mehr Ruhe anzugehen, am Besten sogar wegzufahren, vielleicht für zwei Wochen auf eine einsame Insel, wo man von dem ganzen Scheiß gar nichts mitbekommt, Heiligabend am Strand von Bali mit ’nem Caipirinha in der Hand, das wär doch mal was…
Du musst jetzt einfach mal besinnlich sein!
Und dann ist erst mal Schluss mit dem Thema. Über Monate ist Weihnachten ein No-Go-Thema, keiner spricht es an, weil sich keiner festlegen möchte, keiner möchte an seine Vorsätze von Anfang Januar erinnert werden, alle wollen sich alle Türen offen halten.
Doch spätestens wenn im August die ersten Spekulatius wieder in den Geschäften liegen, allerspätestens zum Ende der Sommerferien, zum Lichterfest oder zum schwul-lesbischen Straßenfest, spätestens also Ende August ist dann schon längst wieder alles eingestielt, alles ausdiskutiert, alles mit den gleichen Erwartungsbergen überhäuft und spätestens dann wird wieder ganz hart an der Umsetzung des Besinnlichkeitsprogramms gearbeitet.
Und spätestens dann fallen einen die beiden Haupt-Aussagen des Jahresendes wieder ein:
„Last Christmas“
und
„The same procedure as every year, James“.