30 Jahre AIDS

1981 beschrieb Michael Gottlieb in der am 5. Juni erschienenen Ausgabe eines wöchentlichen Bulletins der US-Gesundheitsbehörde CDC, eine Häufung einer seltenen Form der Lungenentzündung. Diese durch einen Pilz hervorgerufenen Form befällt nahezu ausschließlich Patienten mit schwerwiegender Immunschwäche, wurde von Gottlieb jedoch bei fünf zuvor gesunden, homosexuellen Männern in Los Angeles festgestellt. Ähnliche Berichte aus anderen US-amerikanischen Städten folgten. Zudem wurden verstärkt auch andere opportunistische Erkrankungen – etwa Kaposi-Sarkome – festgestellt, die überwiegend Patienten mit geschwächtem Immunsystem befallen.

Etwa ein Jahr später einigte man sich für diese neue Krankheit auf den Namen AIDS.

Doch AIDS wird heute nicht erst dreißig Jahre alt: Die früheste dokumentierte Infektion mit HIV-1 wurde anhand 1959 entnommener Blutproben eines Mannes aus Kinshasa in der heutigen Demokratischen Republik Kongo nachgewiesen. Die Genetikerin Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory datierte im Jahre 2000 anhand der Probe von 1959 die erste Übertragung sogar auf etwa das Jahr 1931.

In den 80er Jahren verbreitete sich die Infektion hauptsächlich als Schwulenkrankheit – und zwar in den Köpfen einer hysterischen Öffentlichkeit. Teilweise apokalyptische Szenarien waren Folge der Erkenntnis, dass man in der Anfangsphase nur diagnostizieren, aber nicht heilen konnte. AIDS war seinerzeit unvermeidbar mit dem kurzfristigen Tod verbunden. Große Teile einer Schwulen-Generation sind hinweg gerafft worden von AIDS.

Und obwohl man sich über die Übertragungswege schnell im Klaren war – das HI-Virus wird ausschließlich über den Austausch von Körperflüssigkeiten übertragen -, forderten schnell einige Leute die Internierung der Betroffenen, ja teilweise sogar der sogenannten Risikogruppen, und die Erinnerung an die tragische Zeit der Konzentrationslager im 3. Reich wurde plötzlich wieder sehr präsent.

Bis heute ist umstritten, was die Erkrankung für die Schwulen-Bewegung bedeutete. Einige, vorzugsweise religiöse Analysten, sahen darin eine Strafe Gottes sahen, weigerten sich, auch nur überhaupt einige Dollar in den Kampf gegen die Ausbreitung zu stecken, in der Hoffnung, die bösen sündigen Homos würden über kurz oder lang alle krepieren. Diese Stimmen sind bis heute nicht verstummt.

Andere sahen eine Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf die Diskriminierung der schwulen und lesbischen Minderheit zu richten.

Wir in Deutschland können der damaligen Bundesgesundheitsministerin Rita Süsmuth gar nicht genug dafür danken, dass sie durch ihren beherzten Einsatz die Bewältigung der „Seuche“ in wesentlich humanere Bahnen gelenkt hat.

Heute ist zu fragen, ob die Diskriminierung der Schwulen damals nicht durch AIDS neue Nahrung bekommen hat. Auch in unseren Tagen ist in vielen Köpfen noch die Botschaft verankert, dass man Schwulen am besten nicht die Hand schüttelt oder aus einem Glas trinkt, weil man sich ja mit ÄTS infizieren könnte. Das Coming Out junger Männer wäre inzwischen problemlos möglich, wenn nicht die Anverwandten ihre ersten Gedanken voller Sorge darauf richten würden, was für gesundheitliche Auswirkungen das sexuelle Treiben des Neu-Schwulen haben könnte – da kann man es als schwuler Onkel kleiner Neffen und Nichten schon mal schwer haben.

Zum Glück gibt es aber seit vielen Jahren auch die Selbsthilfe, in den 80er-Jahren in fast jeder größeren Stadt als AIDS-Hilfe gegründet. Und bei uns beteiligt sich sogar der Staat an der Prävention, namentlich durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Kondome auf Staatskosten gehören zum Konzept der Infektionsvermeidung.

30 Jahre sind also seit der ersten Erwähnung dieser Krankheit vergangen. Inzwischen kann man dank Forschung und Sozialversicherung in Deutschland mit dem Virus überleben. Die politische Strategie der Aufklärung und Prävention, begonnen durch die schon erwähnte Rita Süsmuth, hat sich als die richtige erwiesen, weist unser Land doch eine der geringsten Neuinfektionszahlen vor.

Vergessen wird dabei oft, dass es andere Landstriche auf unserem Planeten gibt, in denen es noch gar nicht absehbar ist, wie wahrhaft katastrophale Infektions- und Todesraten bewältigt werden sollen. Im südlichen Afrika sind zum Beispiel bis zu 50% der Bevölkerung infiziert.

Während in Deutschland insgesamt schätzungsweise 29.000 Menschen an den Folgen von AIDS gestorben sind, sind es weltweit bis heute über 37 Millionen Menschen. Und über 33 Millionen sollen zurzeit weltweit mit dem Virus leben – überleben. Jeden Tag infizieren sich etwa 7000 Menschen neu. Aber jenseits dieser statistischen Zahlen findet AIDS immer auch in den Lebensgeschichten real existierender Menschen statt.

Seit zwanzig Jahren wird uns versprochen, dass in jeweils etwa 10 Jahren ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte. Diese Aussicht hat sich weiterhin nicht erfüllt. Und so ist das einzige realistische Mittel zur Vermeidung einer Infektion die Benutzung eines Kondoms beim Sex.

AIDS hat auch viel mit Macht zu tun:

  • Die Macht der Pharma-Konzerne, die ihre Medikamente für viel Geld an die sonst Totgeweihten verkaufen können.
  • Die Macht der religiösen Eiferer, die darin einen göttlichen Freibrief für die Unterdrückung einer sexuellen Minderheit sehen.
  • Die Macht der industrialisierten Welt, die dank AIDS weiterhin zum Beispiel Afrika ausbeuten kann.
  • Die Macht unserer Schuldgefühle, die in jedem von uns schlummern, ob Sex heutzutage sicher genug ist.

30 Jahre AIDS. 30 Jahre voller Angst, Wut, Erkenntnis, Erinnerungen. Aber auch 30 Jahre voller Hoffnung.