Menorca (2006)

Vom Altern

Wenn man von Menorca spricht, so werden meist die schönen Buchten mit dem blauen Wasser genannt. Die findet man dort tatsächlich. Auch wenn in unserer Bucht – also direkt gegenüber des Hotels – im September die Algen und Quallen angespült wurden, so fanden wir doch – mit Auto ausgestattet – manches schnuckelige Örtchen zum Planschen.

Insgesamt war es ein geruhsamer Urlaub 2006. Unser Hotel Xaloc in Punta Prima war … nett. Unter dem Angebot des abendlichen Buffets mutierten wir zu jener Sorte alter Herrschaften, die wir ansonsten als verfressene Touris aus anderen Ländern identifiziert hatten.

Übrigens alte Herrschaften: Wir haben tatsächlich noch den Altersdurchschnitt im Hotel nach unten getrieben. Die ganz kleinen Blagen waren zum Glück nicht in der Nähe unseres Ortes.

Dafür hatten wir auf den beiden Flügen die Gelegenheit, die Frucht der heterosexuellen Lenden zu erleben. Die Brut hat wahrhaft eine solche Freude bereitet, dass er mich zu folgendem Beitrag unter dem Titel „Buggies on board“ in unserem Radiomagazin verleitet hat.

UM ES GLEICH VORWEG ZU SAGEN: WIR HABEN JA NICHTS GEGEN KINDER. NEIN! KÖNNEN JA WIRKLICH NICHTS DAFÜR, DIE KLEINEN. ABER DIESE ELTERN HEUTZUTAGE.

Urlaub 2006. Unsere Vorfreude war nur leicht betrübt, nachdem wir – leider nachträglich – im Reiseführer Erkundigungen über unser Ziel eingeholt hatten: „Die Insel besticht durch seichte Strände, da können Ihre Kinder gefahrlos Sandburgen bauen.

Was uns von da an zunächst als Vorahnung bis zum Flugplatz verfolgte, erschlug uns in der Boarding-Zone: Eine Armee von tiefergelegten Kinderbuggies mit darin festgeschnallten Monstersäuglingen, die Hälfte davon schon seit mindestens zwei Jahren den Ausmaßen des Gefährtes entwachsen.

Wir fühlten uns wie im IKEA-Zwischenlager für Konsum-störenden Nachwuchs. Ein einziges Gequengel und Geschrei: zerrupfte Plüschtiere, verlorene Schnuller, verschüttete Milupa-Tees, langgezogene Geschwisterhaare, laut aufgedrehte Tinki-Winki-Hörspiele, blinkende und plärrende Plastik-Elektronik-Schrott-Spielzeuge.

Und entnervte Mitreisende. Nein, nein, nicht etwa die Eltern. Nein, die haben ja die Ruhe weg. Wenn die Gören auch noch so energiegeladen die Flughafeneinrichtung zerlegen, neugierig mit ihren kleinen süßen Fingern auf Notrufknöpfe drücken oder treudoof die bekoteten Hände an Deinem Handgepäck abwischen. Ein um Nachsicht bittendes Lächeln einer jungen Mutter um die vierzig – und jeder Versuch einer wohlgemeinten Beschwerde ist im Ansatz gescheitert.

Doch zurück zur Urlaubsreise: Natürlich verspäteten wir uns, weil mindestens 80 Kinderbuggies in letzten Minute verladen werden mussten. Wäre es eigentlich zuviel verlangt, wenn die Kinder mal eine kurze Zeit lang „gehen“ müssten, GEHEN, einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen. Die gehen doch schon bald zur Schule!

Der Flug gestaltete sich ebenfalls abwechslungsreich, durften wir doch den lieben Kleinen mehrmals beim A-A-Machen zuschauen, weil Mama bei geöffneter Klotür überwachen musste, ob die kleine Myrte mit ihrem Durchfall das Toilettenloch auch trifft, und wurden eine Sitzreihe vor uns die Zwillinge Finn und Veith von ihrer vollgemachten Pampers befreit. Doch wir hatten ja im Handgepäck zum Glück einige Erfrischungstücher, die wir uns heimlich unter die Nase halten konnten. So bemerkten wir das wegen der Flugturbulenzen kotzende Kind namens Julante neben uns auch nicht. Die Walkman-Ohrstöpsel konnten wir übrigens nicht als Nasenfilter zweckentfremden, weil wir das hysterische Brüllen hinter uns mittels Bordunterhaltung zu übertönen versuchten.

Doch der Spannungsbogen fand erst bei der abschließenden Gepäckausgabe seinen Höhepunkt. Noch war das Kofferband nicht in Betrieb genommen, und so blieb genügend Zeit, die vielsprachigen Warnhinweise zu lesen. „Attention, Attencion, Attencione, Vorsicht.“ Nichtsdestotrotz tümmelten sich fast alle gehfähigen Kinder direkt vor dem Gepäckband, ja es spielten sogar mehrere darauf herum. Kleine Hände grabschten alles an und in alles rein, in alles, was sich nicht – noch nicht – bewegt. Bloß nicht die Stirn runzeln. „Die wollen doch nur spielen.“ Mit einem Ruck lief das Band an – und das Gekreische ging los. Da hat der Marius sich aber ganz doll erschrocken. Und och, da hat sich die kleine Amelie die Finger aua getan. Hoppla, da fährt ja der kleine Josep um die Ecke, ach, und da hinten wird gerade der Arm von Velana abgerissen. Kaum ist das erste Gepäck ans Licht befördert worden, reißen einige resolute Herrschaften ihre Koffer vom Band. Und, oje, da stand ein Kind hat nun eine Platzwunde am Kopf. Und am anderen Ende fährt Josep nun in den Tunnel hinein, und, hupps, jetzt ist er weg.

Warum nur? Warum dürfen Kinder heutzutage alles? Warum schaffen es die Eltern von heute nicht, ihren Kindern klare Grenzen zu ziehen. Warum muss mit Säuglingen schon im Alter von 18 Monaten jedes Verbot einzeln ausdiskutiert werden.

Hallo?! Eltern? Gibt es für Euch kein klares „Nein“ mehr? Gibt es nicht eine Steigerung von „Die Mama ist aber ganz traurig, wenn Du das tust“ zu „Nein, das tust Du auf keinen Fall“. Aber nein: Da würgt Klein-Maischa mehrere Minuten lang ihren kleinen Bruder Dorian, bis er blau wird, doch Papa sagt nur:

  • Maischa, es würde mich wirklich bekümmern, wenn Du Dorian jetzt nicht in Frieden lässt?.
  • Ich will aber wissen, wie Dorian aussieht, wenn er tot ist!

Da schaltet sich Mama ein mit den entscheidenden Worten:

  • Mama will aber auch, dass Du Dorian jetzt los lässt.
  • Ich will – ich will – ich will!?
  • Na gut,

sagt Mama

  • Du bekommst nächste Woche auch eine Nintendo-Playstation mit Hyper-Massaker Teil 5, wenn Du Dorian jetzt in Frieden lässt.
  • Nur wenn ich auch die Killer-Ponys bekomme…

Kinder dürfen alles! Und als kinderloser Enddreißiger, der sich der sich der Vermehrung entzieht, ist man entrechtet. Ja! Genau das. Wir dürfen nur mit seeligem Grinsen zuzuschauen, wenn Kinder nerven, beschmutzen, verhauen, zerstören, umbringen. Bloß kein Wort darüber verlieren, sonst bist Du ein unmoralischer Kinderschreck. Wir „No-Kids“ haben – beraubt von jeder menschlichen Würde – gefälligst die Klappe zu halten wenn es um die Blagen geht.

  • Mama, darf ich dich und Papi jetzt umbringen?
  • Die Mami ist aber bestimmt ganz traurig, wenn Du den Papi jetzt umbringst. Und der Papi weint bestimmt, wenn Du die Mami tot machst.
  • Ja, aber der Onkel Rüdiger hat aber gesagt, dass Eltern heutzutage Scheiße sind.