Winterzeit – Urlaubszeit. Doch statt über weiß beschneite Pisten zu gleiten, sind wir diesmal – wieder – der Sonne, der Wärme entgegen geeilt und für einige Tage nach Madeira abgetaucht.
Madeira, Blumengarten im Atlantik. Sind wir etwa Sissis Spuren auf das portugiesische Eiland gefolgt? Oder wollten wir am Zigarrenaroma schnüffeln, welches Winston Churchill beim Malen von Fischerbooten hinterlassen hat?
Nein, es waren weder die österreichische Kitsch-Kaiserin noch der britische Kriegs-Primeminister, es war einfach das Klima, in welches wir in unserem gefühlten Klimakterium entfliehen wollten.
Madeira, beglückt von der Sonne und von warmen feuchten Winden. Alles blüht, alles wächst, so dass man schon Angst hat, aus der fortgeworfenen Apfelkippe würde ein Obstwald wachsen oder die Körner vom Vollkornbrötchen, die bei der Rast herunterkrümeln, würden zu einem Weizenfeld. Viele Blumen, die wir in unseren Töpfen auf die Fensterbänke stellen und mühevoll am Leben zu erhalten bemühen, wuchern hier schlicht als Unkraut. Und von den über 20.000 Orchideensorten könnten so etwa 80% auf Madeira freistehend herumwachsen. Herrlich!!!
Ob in der Natur oder in einem der vielen wunderschönen Parkanlagen, vom Jardím Botanico bis zu Blandy’s Garden, vom Orchideengarten bis zur Quinta Boa Vista, vom Jardím Municipal bis zum Monte Palace Garden, um nur die wichtigsten zu nennen – für den Liebhaber gepflegter Gartenkultur ist es hier paradiesisch. Wenig vielfältig ist dagegen die einheimische Küche, und sogar bei den Namen der beiden Hauptspezialitäten gibt’s nicht viel Variabilität: Espada heißt der Degenfisch, den man schon mal mit Banane isst, Espetada nennt man das gegrillte Rindfleisch, einst auf Lorbeer gespießt, jetzt auf Eisen und mit Lorbeer gewürzt. Lecker! Dafür gibt’s Früchte en masse, und zusammen mit dem Gemüse nahezu spottbillig. Beispiel: Vier Avocado, fünf Bananen, ein Kilo Tomaten, vier Gurken, zusammen drei Euro. „Teurer“ sind da schon eher die Anonas, die Philodendron-Penis-Früchte, die Bananen-Maracuja oder die Passionsfrüchte. Oder wie wär’s mit Zuckerrohr-Sirup, Limonen-Schnapps und Fenchel-Bonbons?
Dies und noch viel mehr findet man auf dem bunten Bauernmarkt in der Hauptstadt Funchal. Se-hens-wert! Man lässt dort auch gerne probieren. Pflanzen, u.a. auch Orchideen, kann man dort auf dem Mercado dos Labadores übrigens auch erwerben, und wir werden sehen, was von unseren Einkäufen hier zuhause so angehen und keimen wird.
Was man sich an Kalorien so täglich hier reinpfeift, will ja auch abtrainiert werden. Und so stellt sich die Frage der Sportmöglichkeiten. Schwimmen ist hier nicht so; zwar gibt es vereinzelte Meerwasserbecken, die in die Felsklippen gebaut wurden, die sind aber eher was zum Plantschen. Und das gewiss nicht im Winter, wenn der Ozean nur 17 Grad hat und die Brandung mitunter wüst an die Küste knallt. Strände gibt’s eigentlich gar keine, zumindest keine natürlichen und keine schönen. Aber tauchen kann man hier: Die raue Felsküste bietet vielen Fischen eine Heimat, und es haben sich entsprechend einige Tauchstationen angesiedelt.
Zuallererst ist Madeira aber eine Wanderinsel. Und im Gegensatz zu La Palma, unserem bleibenden Favoriten-Eiland, geht’s hier oft nicht über steile Pfade, sondern gern auch über Levada-Wege. Levadas sind die freiliegenden Wasserkanäle, die in den letzten 400 Jahren quer über die Insel gebaut wurden, um die Fluten des Himmels über die Felder zu verteilen. Und an diesen Kanälen wandert man entlang, manchmal über 15km, ohne mehr als 20 Höhenmeter überwinden zu müssen. Ideal für den Hüftkranken Naturliebhaber, geht es doch durch Lorbeerwälder oder über heideähnliche Hochebenen, mal durch abgeschiedene Schluchten mit atemberaubenden Ausblicken, mal durch pitoreske Stadtlandschaften, vorbei an den Privatgärten der emsigen Madeirenser. Weniger ideal sind manche Wege für nicht Schwindelfreie oder Angstgestörte: Wir mussten diesmal über Aquädukte, rechts die Felswand 100m hoch, links 100m runter! Mit einem Geländer, welches nur begrenzt vertrauenswürdig zusammengelötet war. Oder durch 800m lange Tunnel, ohne Beleuchtung und oft genug weniger als 1m60 hoch. Da möchte man manchmal in einer Welle von Panik schon mal den Hubschrauber oder die Grubenwehr zur Rettung ausrücken lassen, wenn man das Gefühl hat, der Wille bringt einen nicht vor und nicht zurück. Aber der Mensch ist ja bekloppt und lässt sich auf so was ein. Nicht zuletzt, um am Ende der Tour bei einem Herrengedeck, das heißt bei einer Tasse Garoto – das ist so was wie ein Espresso mit geschäumter Milch – und einer Cola, stolz auf das lebende Erreichen des Ziels zu blicken. Genau das nennt man dann Glück: das erfolgreiche Meistern von Herausforderungen. Eine persönliche Warnung an dieser Stelle: Wer hier in spanischer Manier einen „Cortado“ bestellt, der erhält einen Kaffee mit Madeirawein, auch lecker, aber nicht, wenn man noch fahren muss.
Verlieren wir doch auch noch ein paar Worte zu den madeirensischen Hombres: Sicher mag der ein oder andere Freund schwarzer Haare, brauner Augen, wuscheligem Flaums über dem T-Shirt-Ausschnitt, also so allgemein Freund südländischer Macker nun fragen, ob sich die Reise nach Madeira lohnt. Nun, es gibt sie, diese männlichen Schönheiten. Aber uns scheint es so, der Portugiese ist an sich nicht so … eitel? Aufgeschlossen? Offenherzig? Lassen wir mal die allzu coolen Jugendlichen mit ihrem weltweit gleich debilen und eher peinlichen Gestus mal außen vor: Hier springen die Abziehbildschönheiten und Fashion-Clones nicht so zahlreich rum, und so manchen Pläutzchen deutet sich unter dem Hemd allzu deutlich an. Vielleicht ist aber auch gerade diese Natürlichkeit charmant, die unbearbeitete Schönheit.
Wer nicht nur sein Auge, sondern auch seinen Leib auf diese Schönheiten werfen will, sollte allerdings beachten, das Madeira katholisch, südeuropäisch und auch immer noch ländlich geprägt ist. Offen tuckig durch’s Dorf zu schlawenzeln kommt hier wahrscheinlich ebenso wenig an wie im Unterammergau. Wer sich aber umsieht, sieht hier auch Männerpaare wohnen oder Singles cruisen.
Cruisen, richtiges Stichwort: Nicht zu vergessen ist übrigens auch der endlose Strom der Kreuzfahrer, die mit 4000-Personenschiffen fast im Tagesrhythmus nach Funchal einfahren und Briten, Holländer und Deutsche über die Insel herfallen lassen. Allein deshalb wäre für Frischfleisch gesorgt, nur: Die Altersklasse dieser Cruiser ist mitunter noch notleidender.
Madeira. Was für eine Perle! Für uns vielleicht nicht die erste Wunsch-Destination zum Auswandern – da haben wir bekanntlich eine andere Priorität. Doch ist diese Insel nicht der ideale Ort, um sich im düsteren Winter die Weihnachtsfettmassen von der Schwarte brutzeln zu lassen, in der milden Sonne dieses Klimas den Jahresendzeitfrust und –stress zu vergessen und Vitamin D zu tanken? Für uns auf jeden Fall, und die Versuchung ist groß, den nächsten Jahreswechsel gleich ganz außerhalb zu verbringen (für ein Entkommen ist es hier auf Madeira dann doch wieder zu katholisch).
Ob dieser Gedanken nutzen wir nun noch die letzten Tage, um mittels Avocado-Bocadillos und Knoblauch-Salaten die Kraft zu tanken, um dann gestärkt ins Idiotenland – genannt Arbeit – zurückkehren zu können.