La Isla Bonita
Wer als Schwuler nach La Palma fährt, um Disco, Szene und HighLife zu finden, dürfte gleich nach dem Blick in das Schwule Adressregister enttäuscht sein. Ich hatte jedoch das Bedürfnis, etwas Abstand zu gewinnen. Unter anderem Abstand von dem, was andere vielleicht als Tuckenglück bezeichnen würden (Kneipen, Cruising, Travestie und so’n Schnickschnack), das kann ich auch billiger in Dortmund haben. Also auf nach La Palma, kanarische und somit spanische Insel.
Was hat La Palma uns Schwestern zu bieten? Wie leben Schwule auf La Palma, im Urlaub oder dauerhaft als Zugezogene? Gerade mal drei schwule Ziele hatten wir in jenem schwulen Adressbuch finden können, zwei Nacktbademöglichkeiten und eine Bar, die es gar nicht mehr gab. Legte man hier Deutsche Maßstäbe an, so hätten alle Homos schon frustriert in die weite Welt auswandern müssen, so wie man es hierzulande nach Berlin oder Köln tut.
Aber wir waren ja hier, um unser Traumziel zu finden. La Palma bietet unheimlich viel Natur. Nicht umsonst wird La Palma „La Isla bonita“ – Die schöne Insel genannt. Wer am Rande des Caldera-Kraters steht und 2000 Meter tief in den alten Vulkan-Kessel blickt, wer am Vulkanaschestrand zwischen zwei Klippen die Macht der Wellen spürt, kann eigentlich nur tief durchatmen und sich dabei denken, was Schöpfung ist. Doch den Naturschönheiten soll dieser Bericht ja nicht gewidmet sein – ich vergaß.
La Palma hat etwa 80.000 Einwohnern, darunter immerhin 8000 Deutsche, die sich dauerhaft auf dieser Insel niedergelassen haben. Das macht eine theoretische Homoquote von 4 bis 8000 warmen Palmeros. Einige haben wir dann auch kennen gelernt und wir konnten feststellen, ob es auch hier die große einige Familie gibt. Wir dachten, dass man(n) unter den Insel- bzw. Dorfbedingungen wesentlich leichter zueinander finden müsste. Gab es vielleicht sogar Homo-Solidarität oder eine Schwulenpolitische Bewegung. Weit gefehlt. Die Gesellschaft auf La Palma ist noch nicht so weit. Hier war noch die moralische Provinzialität zu spüren, vielleicht auch noch der Einfluss der katholischen Kirche. Die Marienkäfer, wie die Schwulen in Spanien genannt werden, werden verspottet. Die gesellschaftliche Anerkennung bleibt ihnen hier verwehrt. Solche Gegenden gibt es bei uns ja auch – auch noch. Folglich gibt es natürlich auch Schwule, die in tolerantere Gegenden, z. B. auf das Iberische Festland umsiedeln, um dort ihr Leben auszuleben.
Wer bleibt, drängt seinen Nachbarn seine Schwulitäten nicht auf, sondern lebt zumindest in dieser Hinsicht eher zurückhaltend. Dafür ist man meist noch eingebunden in seine Familie, viel mehr als bei uns. Doch die verkehrte sexuelle Veranlagung ist den Angehörigen, Mama und Papa, allemal ein Grund, um zumindest traurig zu sein, und das ist wiederum beim Schwulen Ursache für das schlechte Gewissen. Irgendwie lebten die Schwulen deshalb hier in der Defensive, so mein Eindruck. Als eng wird dies aber nur derjenige empfinden, der es wie unsereins gewohnt ist, seine Schwulitäten offen zu leben, so wie unsereins hier im Ruhrgebiet. Ich glaube nicht, dass man als schwuler Palmero das Weite suchen muss, um glücklich leben zu können. Die Leute, die wir kennen gelernt haben, arrangierten sich mit den Umständen.
Und wir Touristen, wir Deutschen? Ist La Palma eher beengender Homo-Horror oder familiäres Homo-Paradies. Wer weite Sandstrände sucht, Halligalli, Darkrooms, schnellen Sex und die damit verbundene „Entspannung“, sollte besser nach Maspalomas auf Gran Canaria fliegen, um Yumbo-Center und Bongoland unsicher zu machen. Oder er bleibt halt gleich in Dortmund.
Wer nach La Palma fliegt, sollte sich auf die Eigenheiten einer anderen, etwas provinziellen und gemütlichen Gesellschaft einlassen können. Und wenn ich noch ein – vielleicht ein etwas kitschiges Resümee draufgeben sollte: Für La Palma muss man einfach mal das Leben auf sich wirken lassen können und das Gefühl der Erhabenheit verstehen.